Dyneema als Rigg - Hat jemand schon Erfahrung damit?

Dyneema als Rigg - Hat jemand schon Erfahrung damit?

Beitragvon talfar » So 26. Sep 2021, 21:53

Gibt es hier schon Erfahrungen mit stehendem Gut aus Dyneema? Hat das schon jemand auf einer Vega gemacht?

Da ich das Deck komplett neu mache, möchte ich gleich die Umrüstung auf synthetik-Rigg vorbereiten. Die Vorteile davon haben mich absolut überzeugt:
* Viel geringeres Gewicht, vor allem im Top (deutlich geringere Krängung und Rollen!)
* Viel bessere Inspektionsmöglichkeiten als Edelstahl: Bei Dynema verschleißt wenn dann immer die äußeren Schichten, d.h. wenn was ist, sieht man es frühzeitig.
* Man kann alles selber reparieren, ggf. auch unterwegs. Man braucht nur Dyneema und was zum spleißen.
* Wenn man auf die Spezialterminals verzichtet, ist es erheblich günstiger als Edelstahl.

Hab mir ein Paar Ideen dazu überlegt, würde mich aber noch gerne darüber austauschen.

VG
talfar
 

Re: Dyneema als Rigg - Hat jemand schon Erfahrung damit?

Beitragvon Thomas » Mo 27. Sep 2021, 09:59

och ja, mach doch mal und berichte uns…. Grinsesmiley

Und jetzt im Ernst:
1. Du hast ein Fahrtenboot
2. Dyneema altert. Infos dazu in einschlägigen Bergsport-Foren, wo über das dort benutzte Dyneema schon deshalb intensiver nachgedacht wird, weil die Kollegen ihr Leben dranhängen. Dort findest Du auch wissenschaftlich durchgeführte Untersuchungen zu Reissfestigkeit, Alterung, Nutzdauer.
3. Dyneema ist nicht UV-beständig. Es gibt empfindlicheres Plastikmaterial, aber UV lässt auch Dyneema nicht unbeeindruckt.
4. Solltest Du im Salzwasser unterwegs sein, werden sich Salzkristalle zwischen die Kardeele legen (Welle - Gischt - Wanten nass - Trocknung). Das scheuert !
5. Eine scharfe Kante von irgendwas, die an die Wanten/Stagen kommt und Du kannst das Band neu machen. Da reicht schon eine Obstkiste beim Bunkern vor dem Törn. Auf dem stehenden Gut ist ja ordentlich Zeng, einmal scharf angucken und - Schnitt….
6. Gibt es irgendwo eine echte Vergleichsuntersuchung: Krängungswinkel mit Edelstahl-Rigg versus Dyneema-Rigg. Also bei Standard-Segelbooten (nicht bei Leichtbau-Regattasemmeln)?
Ich halte das bei unserer Vega für theorielastig. Mich persönlich stört Krängung übrigens nicht…
7. Der Preis: Edelstahlwanten teurer als Dyneema-Wanten ? Glaub ich nicht. Hast Du fertig konfektionierte Stahlwanten mit Dyneema-Meterware verglichen ?
Mit einrechnen bitte: Stahl hält länger aus o.g. Gründen.
Halte uns auf dem Laufenden! Ich hab nicht wirklich was gegen Innovation (obwohl, hihi, eine AlbinVega ein ungewöhnliches Experimentierfeld darstellt), hege aber in einigen Bereichen meine Zweifel.
Grüße,
Thomas
Thomas
 

Re: Dyneema als Rigg - Hat jemand schon Erfahrung damit?

Beitragvon talfar » Mo 27. Sep 2021, 16:31

Hallo Thomas,

die ganzen Punkte die Du ansprichst sind richtig. Das Hauptargument gegen Dyneema ist tatsächlich das Alterungs- und UV-Problem. Mittlerweile gibt es aber auch in dem Bereich Entwicklungen die dem entgegen wirken. Man kann natürlich auch über zusätzlichen UV-Schutz nachdenken. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Muss man halt Kosten-Nutzen für sich abwägen.
Edelstahl hält ja auch nicht ewig. Der Unterschied: Bei Synthtik siehst Du frühzeitig wenn der Verschleiß anfängt. Da Synthtik-Rigg nicht auf Bruchlast sondern auf Dehnungsfaktor ausgelegt wird, hast Du üblicherweise eine vielfaches an Bruchlastreserven. D.h. Du musst nicht unbedingt gleich nachdem es anfängt zu verschließen erneuern. Edelstahl ist meistens dann schon überfällig wenn man was sieht, da es innen wahrscheinlich schon komplett verrottet ist. D.h. das Thema Haltbarkeit ist nicht entschieden. Letztendlich hängt es wie immer von vielen Faktoren ab. Es gibt jedenfalls schon entsprechende Langzeiterfahrungen mit Synthetikrigg, die je nach Klima-Bedingungen sogar zugunsten von Dyneema ausfallen.

Das Thema Durchtrennung durch scharfkantige Gegenstände kommt wohl auch eher nur in übertriebenen horrovorstellungen vor. Hast Du schon mal versucht 8mm Dyneema durchzuschneiden, selbst unter last? Das geht schon, aber sicher nicht "aus versehen". Wenn man will, kann man die gefährdeten Bereiche immer noch umwickeln (Wenn man nicht eh schon was als UV-Schutz drum hat)
Von Problemen mit Salz hab ich noch nichts gehört. Das würde aber Dyneema im kompletten Bootsbereich beeinträchtigen.

Zum Thema geringere Krängung hab kann man was im "Rigger's apprentice" von Brion Toss nachlesen, bzw. den vielen Berichten von cruisern (ja, auch bei youtube) die umgebaut haben. Klar hast Du dabei auch den Effekt: "Ich hab umgebaut, also muss es besser sein", aber die Theorie spricht halt auch dafür. Je mehr Gewicht Du aus dem Top bekommst, desto weniger krängt das Boot. Krängung muss nicht stören um die Vorteile eines stabileren Boots mitzunehmen. Man kann härter an den Wind gehen oder länger ungerefft fahren.

Zum Preis: Der Meter-Preis von Dyneema ist höher als Edelstahl, aber wenn Du die ganze Befestigungshardware für Stahlwanten mitrechnest, wird es mit Dyneema doch günstiger, vor allem für die Selbermacher. Kein Spezialwerkzeug, keine Pressfittinge usw. Man braucht auch keine Sammlung an Bolzen, Splinte usw. um ggf. was ersetzen zum können. Das gesamte System wird einfacher im Aufbau, dafür aufwendiger im Umgang. Wanten spannen usw. wird aufwendiger. Man muss halt für sich entscheiden, was man lieber will.
talfar
 


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